Der erste Eindruck
Auroville ist Indien und doch nicht Indien. Es ist unglaublich grün hier – Büsche, unzählige Bäume. Kleine sandige Straßen, auf denen nur Mopeds, Motorräder, ganz vereinzelt Rikschas und kaum ein Auto verkehren, schmale Wege, die scheinbar in den Dschungel führen, kaum Wegzeiger und der gesamte Ort ist rund um den Kern, das „Herz“ von Auroville, den Matrimandir gebaut, den man von der kreisrunden Hauptstraße aus immer wieder durch die Bäume und Büsche blitzen sieht in seiner goldenen Pracht. Ich fühle mich ein bisschen wie auf einem anderen Stern, auch wenn ich von den indischen Bewohnern weiterhin das vertraute Tamil um mich herum höre.
Die Vision
Auroville soll die Einheit aller Menschen unabhängig von Religion, Nationalität, Ethnie, Geschlecht und Alter verwirklichen und gehört niemanden speziell, auch wenn es eine Auroville-Stiftung gibt, sondern es gehört laut Selbstverständnis der Gründer der Menschheit insgesamt.
Die UNESCO und der indische Staat unterstützen dieses Experiment. Es gibt ein indisches Gesetzt, das bestimmt, dass dieses Stück Land der gesamten Menschheit gehört. Der Beginn war die Vision einer Französin, „der Mutter“, die spirituell eng verbunden war mit dem indischen Dichter, spirituellen Lehrer und Politiker Sri Aurobindo. Das Projekt Auroville ist so umfassend, dass ich es hier in Kürze gar nicht darstellen kann und will, sondern auf die Website www.auroville.org hinweisen möchte für weitere Informationen. Dies ist die authentische Website, mit den korrekten Infos über Auroville. Auf anderen Websites und in der Presse findet man zuweilen kuriose Beschreibungen, wie z.B. dass der Matrimandir der Wasserspeicher von Auroville ist…
Seit der Gründung dieser Stadt im Februar 1968, bei der Vertreter von 124 Nationen einschließlich aller indischer Staaten anwesend waren, entstand in der Nähe von Pondicherry und der Ostküste von Südindien auf einem damals kargen Stück Land um einen Banyan Baum herum ein Ort, der jetzt 50 Jahre später versteckt in unzähligen Bäumen und Büschen liegt.
Es leben hier derzeit ca. 2.500 Menschen aus 49 Nationen, die daran arbeiten, auf der Basis eines veränderten menschlichen Bewusstseins ohne kriegerische Auseinandersetzungen mit Fokus auf friedliche Lösung von Konflikten und auf die Schaffung einer ökologisch gestalteten Umwelt zu leben. Als Kurzzeitbesucherin kann ich persönlich nur sagen, dass alle Menschen, denen ich begegne, ausnehmend freundlich und gelassen sind. Es gibt hier keine Bettler und Sadhus auf den Straßen, alles ist sauber. Als ich im Café neben dem Rathaus saß, erlebte ich am Nebentisch eine sachliche und ausführliche Diskussion von Einwohnern, die über konkrete Fragen der Weiterentwicklung sprachen – jeder wurde angehört, der Ton blieb sachlich und ruhig. Ganz anders, als wir es von Politikern gewohnt sind. Hier würde sich auch niemand als Politiker bezeichnen.
Der große Besuchermagnet ist der Matrimandir in der Mitte, ein Wunderwerk der Architektur, das neben dem oben erwähnten Baum entstand.
Auch hier möchte ich mich nicht in Details verlieren, nur kurz beschreiben, wie ich ihn erleben konnte. Zuerst erhielt ich einen Besucherschein für den Zugang an einem Tag zu einem Aussichtspunkt, von dem aus man die goldene Kugel gut sehen konnte, aber nur aus der Distanz. Dann musste ich mich zu einer bestimmten Zeit im Büro des Besucherzentrums anmelden und erhielt für den folgenden Tag eine der streng limitierten Besuchserlaubnisse. Beim ersten Mal wird einem dann erst einmal ein Film über das Experiment Auroville gezeigt, dann wird man mit dem Bus in der Gruppe zum Matrimandir gefahren, ein Einwohner Aurovilles gibt eine mündliche Einführung und beantwortet Fragen. Fotografieren des Inneren und der wunderschön gestalteten Themengärten rings herum ist nicht möglich. Man muss Taschen und Handys am Eingang abgeben. Das Innere des Matrimandirs lässt einen nur sprachlos verstummen und beim konzentrierten Sitzen um den riesigen runden Kristall in oberen Bereich, der das Sonnenlicht auffängt und bündelt und den Strahl von oben bis ganz unten in einen Kristall unten in ein Wasserbecken in der Form eines Lotus, des Symbols des Wandels, leitet, wurde ich ganz still.
Auroville ist ein phänomenales Experiment: Irgendwann sollen hier 50.000 Menschen leben. Der Ort soll auch Impulse geben, den Gedanken eines friedlichen Zusammenlebens in die Welt zu tragen, soll ermuntern, an der Überwindung all der menschlichen Eigenschaften zu arbeiten, die einem verträglichen Miteinander im Weg stehen. Derzeit ist noch vieles im Aufbau, die atemberaubend schönen Gärten um den Matrimandir herum werden noch weiter gestaltet, es gibt bereits viele Angebote im Bereich Kunst und Kultur, viele Yoga-Kurse, denn Yoga wurde von der Mutter und Sri Aurobindo als direkter Weg zur Vollendung des Menschseins gesehen, als Weg zu einem „Superman“, wie es in einem Text heißt. Heilanwendungen auf körperlicher und energetischer Ebene werden ebenfalls viel angeboten.
Ich war nur 5 Tage hier und habe sicher nur einen oberflächlichen Eindruck gewinnen können. Es ist aber ein Ort zum Staunen, zur Arbeit an der Verwirklichung von Visionen.
Mein Guesthouse war sehr einfach; mein Zimmer in einer kleinen Hütte im Garten lag ebenerdig, bot durch die verzogene Holztür viel Zugang für Ameisen aller Größe, die mich nachts öfters zwickten, obwohl ich unter einem Moskitonetzt schlief. Das Badezimmer teilten sich mehrere Personen. Aber der Garten des Guesthouses war wunderschön – ein großer Banyan-Baum, viele Bäume, Büsche und Blüten. Nachts zirpten die Grillen, quakten Frösche und in den Morgenstunden waren verschiedenste Vögel zu hören.