Von unserer ersten Unterkunft aus sind wir am dritten Tag mit der Riksha zum Bahnhof gefahren und haben einen Zug in den Norden Keralas nach Kasaragod genommen. Das Zugfahren ist unglaublich günstig; für die drei Stunden Zugfahrt haben wir zu zweit 160 Rupies, das sind etwas mehr als 2 Euro bezahlt. Soweit ich verstanden habe, werden Zugfahrten vom Staat unterstützt und sind deshalb so günstig. Rikshafahrten zum Bahnhof oder vom Bahnhof zu einer Unterkunft sind meist teurer als die ganze lange Anfahrt mit dem Zug.
Wir sind ein bisschen stolz, dass wir uns jetzt auch mit dem Zugfahren auskennen und bekommen einen erweiterten Blick auf Land und Leute. Während einer Wartezeit auf einem Bahnhof ist mir aufgefallen, dass die Gleise von Hand gefettet werden; ein Inder schmierte die Seiten der Gleise mit bloßer Hand dick mit schwarzem Fett ein. An den Bahnhöfen steigen die Menschen von beiden Seiten ein und aus und überqueren sorglos die Gleise, auch wenn das bedeutet, dass man dann ziemlich hochsteigen oder sogar klettern muss am Bahnsteig drüben. Wenn wir mal auf einem Weg über Gleise klettern müssen, ist uns immer ein bisschen mulmig…
Am nächsten Ort erwartet uns eine Privatunterkunft – ein sogenanntes Homestay -, die wir über das Internet gefunden hatten und mit einem Anruf reserviert haben. Das Zimmer ist in Bekal, einem kleinem Ort ca. 15 cm südlich von Kaseragod. Wir werden freundlich empfangen von Oma, Opa, Frau, Mann und dem 2 ½ jährigen Sohn.
Die Familie ist sehr offen – religiös nicht gebunden, wie uns der Mann namens Anoop erzählt – und modern. Anoop fährt morgens mit seinem Motorrad ins Fitness-Center. Und Anoop bereitet uns für die nächsten zwei Tage ein volles Besichtigungsprogramm vor, schickt es uns gleich per Whatsapp zu – was uns gar nicht so interessiert, da wir nicht auf Sightseeing-Tour sind, sondern einfach Land und Leute live erleben wollen. Wir schauen uns nur das nahegelegene Fort Bekal an, freuen uns, mit indischen Touristen ins Gespräch zu kommen – einschließlich der üblichen Selfie-Aufnahmen – und spazieren am Strand entlang, der total verlassen ist, obwohl es dort sogar einen kleinen Vergnügungspark gibt. Westliche Touristen werden wir übrigens erst am Tag sechs und erst einmal nur aus der Ferne in einem Bahnhofsrestaurant sehen.
Dann beschließen wir, in die nächste größere Stadt namens Kanhangod zu fahren, um Geld zu wechseln. Es ist Mittagszeit und als wir einen Rikshafahrer ansprechen, ist dieser sehr träge und gar nicht auf Kundschaft aus. Wie immer, wenn man eine Person anspricht, stehen bald mehrere Menschen, meist Männer, um einen herum und wollen mithören und mitdiskutieren. Ein Mann aus der Gruppe rät uns, doch den Bus zu nehmen, da die Haltestelle nur wenige Meter entfernt ist. Wir machen uns auf den Weg, sitzen kurz auf der Wartebank an der Haltestelle und schon kommt der nächste Linienbus. Für 20 Rupies, ca 26 Cent, fahren wir ½ Stunde in den Ort Kanhangod. Das Büro zum Geldwechseln finden wir schnell in der Nähe des zentralen Busbahnhofs.
Schließlich erkunden wir noch etwas den Ort, trinken Tee bzw. Kaffee, probieren süße Küchlein, kaufen neue Sandalen für mich, da meine in die Jahre gekommenen Sandalen eine Sohle verloren haben, finden eine schöne Kurta (langes indisches Gewand) für mich, da ich nur noch wenige indische Kleidung habe, die akzeptabel war.
Eine kurze Rikshafahrt bringt uns zu dem Ashram eines angesehenen indischen Weisen namens Nithyananda. Die Besonderheit des Ashrams sind in den Berg gehauene Gänge mit höhlenartigen Schlafkojen – insgesamt 41. Dort haben die Anhänger des Weisen geschlafen.
Dann geht es wieder zurück per Bus und ein köstliches vegetarisches Abendessen, gekocht von der Oma, erwartet uns. In den drei Tagen bekommen wir morgens und abends leckere Mahlzeiten: Reisküchlein, Idlies (war unser spezieller Wunsch) Reisnudeln, Gemüsecurries, gekochte Gurken, Linsengemüse, Kokusnuss-Chutney, Gurkensalat, Omlett, gekochte Eier, Wassermelonen und Wassermelonensaft und viel Reis, Chapaties und Dosas.
Am zweiten Tag fahren wir mit dem Zug nach Kasaragod – die nördlichste Großstadt in Kerala. Hier ist die moslemische Bevölkerung augenscheinlich stark in der Überzahl: überall sahen wir tief verschleierte Frauen in schwarzen Burkas. Ein düsteres Bild. Selten nur findet ein Augenkontakt und ein Austausch eines Lächelns statt, was mit Hindufrauen sehr häufig passiert. Und natürlich wird nicht nach Selfies gefragt! Erst Tage später an unserer nächsten Station weiter südlich, kommt eine islamische Frau auf der Dorfstraße auf uns zu und bittet um ein Selfie, zu dem sich der halbwüchsige Sohn gesellt. Der kleine Sohn von ca. 5 Jahren schreit entsetzt auf und weicht zurück, als ich ihm die Hand reichen will und anbiete, dazuzukommen. Pure Angst vor uns!
Von Kasaragod aus fahren wir mit einer Riksha in einen nahegelegenen Seetempel (der einzige in Kerala), in dessen See ein heiliges Krokodil lebt, das ab und an auftaucht. Es ist Vegetarier und frisst nur Reis; die Fische im See schwimmen unerschrocken herum. Wir warten etwas im Tempel und beobachte das Wasser und tatsächlich taucht das Krokodil auf – ein indischer Tourist meint, wir seien nun gesegnet.
Auffällig ist, dass die Männer vor dem Betreten des Tempels nicht nur wie alle die Schuhe auszogen, sondern auch den Oberkörper freimachten. Im Bundesstaat Tamil Nadu haben das nie gesehen. Und eine ganz andere Sitte als bei uns.
Beim Aufenthalt im Tempel spricht uns auch ein junger Inder an und erklärt uns einiges am Tempel. Dann erzählt er stolz, dass er aus einem kleinen Ort in der Nähe stammt und gerade vor zwei Tagen geheiratet hat. Man merkte am Umgang der beiden miteinander, dass das junge Ehepaar noch nicht vertraut miteinander ist, sich sogar noch fremd ist. Sicher handelt es sich um eine arrangierte Heirat, bei der sich die beiden vorher kaum getroffen und schon gar nicht näher kennengelernt hatten.
Da wir nach diesem Ausflug zum Tempel und einem kurzen Besuch der Stadt schon am Nachmittag zurück in der Unterkunft sind, beschließen wir noch etwas spazieren zu gehen. Entlang der Dorfstraße stehen einige Häuser; nicht so dicht beieinander wie bei uns, sondern nur alle 100 bis 150m mal ein Haus. Viele prächtige, große Häuser sind dabei. Als wir an einem der schönen Häuser vorbeigegangen sind, höre ich hinter mir Rufen, drehe mich um und sehe eine Gruppe Frauen auf der Mauer stehen, die das herrschaftliche Haus umgibt. Sie winken und als ich zurückwinke, kommt eine junge Frau aus dem Tor gerannt und fragt, ob wir uns den Tanz, den sie gerade für einen Auftritt im Tempel proben, anschauen wollen. Natürlich wollen wir das. Wir werden vors Haus geleitet, jemand holt zwei Stühle herbei und wir erleben einen volkstümlichen Tanz aus Kerala.
Nach der Vorstellung gibt es noch ein Gruppenfoto mit Tänzerinnen und anderen Familienangehörigen. Wir sind ganz begeistert von diesem überraschenden Erlebnis.