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Karthikai Deepam …

… das tamilische Lichterfest

Heute am 2. Dezember ist ein ganz besonderer Tag als Abschluss einer 10-tägigen Festzeit. Deepam, das tamilische Lichterfest wird mit dem Entzünden eines riesigen Feuers (unter Verwendung von 3500 kg Ghee, dem indischen Butterfett) auf dem Berg Arunachala beendet. Da diese Tage für die Hindus heilige Tage sind wegen einer speziellen Sternenkonstellation und des Vollmonds pilgern zum Teil schon seit gestern aber ganz vermehrt seit heute ganz früh tausende und abertausende von Gläubigen barfuß rund um den Berg (ein Rundgang von ca. 14-15 km) und das wird die ganze Nacht andauern. Es wird getutet, getrommelt und skandiert und die Luft vibriert förmlich vor Energie. Da ich aus meiner Unterkunft vorgestern raus musste, da sie vorbestellt war für Depaam, wohne ich jetzt etwas außerhalb, dafür aber direkt am Weg um den Berg und etwas komfortabler: Das Zimmer ist sauber, die Matratze nicht staubig, die Bettlaken sind frisch und nicht voller Löcher. Aber das ist natürlich auch teuer als in der ersten Woche.

Das ist übrigens das originale Lauftempo der Inder…

Um 18 Uhr Ortszeit war es soweit: Aus den Lautsprechern am Weg ertönte OM namah shivaja, ein Mantra zu Ehren des Gottes Shiva, Böller wurden gezündet und als winziges Feuerpünktchen auf der Bergspitze konnte ich das heilige Feuer flackern sehen.

Vor Jahren bin ich einmal mit meiner Frau beim Vollmondfest im Monat Januar um den Berg gewandert, aber damals waren es nicht ganz so viele Menschen. Wir liefen ca. 3-4 Stunden (?) (Zeit wird ja sehr relativ hier) mit der Menge, sahen, wie Menschen immer wieder in einen der vielen Tempel am Weg einbogen (in den Tempel, der ihrer speziellen Gottheit geweiht ist), den Altar umrundeten, Opfergaben darbrachten, Kampherstückchen entzündeten und weiterliefen von Tempel zu Tempel. Ein unglaubliches Erlebnis, so viele unterschiedliche Menschen zu sehen, mittendrin die Sadhus in ihren gelben Gewändern und abenteuerlichen Bemalungen und Frisuren, falls man von Frisuren sprechen kann… Heute Morgen sah ich auch einen Sadhu, der eine lange Nadel (Typ dünne Stricknadel) durch beide Backen getrieben hatte. Als Weiße wurden wir öfters angelächelt, manchmal mussten wir Hände drücken und erklären, aus welchem Land wir kommen. Vor dem großen Tempel in Tiruvannamalai waren Gitter aufgestellt, die die unzähligen Pilger kanalisieren sollten und es herrschte ein unglaubliches Gedränge. Vornehme Zurückhaltung und brav Schlange stehen ist nicht Sache der Inder. Am Wegesrand gab es an einer Stelle einen riesigen Stein mit einer sehr schmalen Öffnung, durch die sich Menschen durchzwängten – eine symbolische Geburt feierten.

Der Weg um den Berg ist auch dieses Jahr wieder dicht besiedelt mit provisorischen Buden; es gibt Tee und andere Getränke, Zuckerrohr und Obst aller Art, frisch gebackene Samosas, Heiligenbildchen, Ketten, Armbänder, Räucherwaren und vieles mehr. Neu für mich waren dieses Mal Stände, an denen man die Wasserflaschen aus Plastik abgeben kann. Es wird viel Geld in das Recycling von Plastik gesteckt seit ein paar Jahren. Der üble Geruch von verbranntem Plastik hängt nicht mehr über der Stadt, was ich als sehr angenehm empfinde und ich habe keine belegte Stimme mehr, wie in vergangenen Jahren hier. Gestern war das Wetter sehr regnerisch und es gab immer wieder heftige Wolkenbrüche. Mit meinen orangefarbenen Birkenstocks aus Kunststoff bin ich immer wieder knöcheltief durch Wasser gewatet auf den Wegen und Sträßchen.

In Verbindung mit dieser Festperiode ist seit 2 Tagen auch ein Viehmarkt auf einem großen Platz am Rande von Tiruvannamalai und entlang der Straße um den Berg. Kühe, Kälber, Bullen und Stricke, um das gekaufte Tier festzubinden und mitzuziehen, werden verkauft. Kein Inder geht alleine auf den Markt um zu kaufen, er bringt immer Familie und/oder Freunde mit und es wird unendlich lange beratschlagt und gehandelt.

Den Vollmond empfinde ich als sehr heftig dieses Jahr und ich komme mit wenig Schlaf aus – nach 4 Stunden war ich wieder ganz wach und erfrischt.

Der Weg auf den Arunachala

Hinter dem Ramana-Ashram geht ein Weg den Berg hinauf zum Arunachala und zu einem kleinen Ashram ein Stück unterhalb des Berggipfels, dem Skanda Ashram, in dem Ramana, der Weise vom Arunachala, sieben Jahre seines Lebens in Abgeschiedenheit lebte.

Skanda Ashram Wegzeiger

Der Weg hoch dauert ca. 1 Stunde und ich bin ihn barfuß gegangen – als Pilgerweg, Schritt für Schritt, achtsam von Stein zu Stein.

Weg hinauf

aufwärts – in der Mitte ein frisch angepflanztes Bäumchen

Im Gegensatz zu den Straßen und Gassen in Tiru wird dieser Weg sauber gehalten; ein paar Inder sind unterwegs am Berg und sammeln alles ein, was die Touristen – vor allem, die Inder, die auf Sightseeeing-Tour sind – an Papier und Verpackungsmaterial fallen lassen. Vermutlich sind die Müllsammler vom Ramana Ashram eingestellt.

Die Wanderung ist schweißtreibend, auch wenn weite Strecken unter schattigen Bäumen verlaufen. Der Hang am Arunachala gehört zu einem Wiederaufforstungsprogramm und die kleinen, frisch angepflanzten Bäumchen werden gewässert und gepflegt. Unterwegs sind mir Affen von beachtlicher Größe begegnet, von denen ich Abstand gehalten habe, und kleine gelbliche, braun gestreifte Eichhörnchen, die sich nicht von der Kamera einfangen lassen wollten.

schon ziemlich weit oben – Blick auf Tiruvannamalai

Oben im Ashram war eine unglaubliche Stille; einige Meditierende – meist Westler – saßen tief versunken in Ramanas Raum vor seinem Bildnis. Als ich mich setzte, waren ziemlich schnell alle Gedanken verschwunden und obwohl ich die Augen geöffnet hatte, verschwand die Welt um mich herum in irgendeiner, unbeschreiblichen Weise und alles Gesehene schien nur noch ein Bild zu sein, weit, weit weg. Raum und Zeit gingen verloren.

Skanda Ashram

Es gibt nur zwei kleine Räume, die aus dem felsigen Berg herausgearbeitet wurden. Neben dem Hauptraum, in dem Ramanas Bild steht, gibt es einen kleinen Raum, in dem ein Altar für seine Mutter aufgebaut ist. Dort starb sie auch und „wurde befreit“ , nicht nur von diesem Leben sondern auch aus dem Zyklus der Wiedergeburt.

Ramanas Mutter

Später wanderte ich noch etwas im grün wuchernden Garten vor dem Ashram herum. In einem der Bäume entdeckte ich diesen kleinen Kerl, der unermütlich am Deckel der Plastikflasche nagte.

Der Priester, der den Ashram betreut, spielte Schattenboxen mit einem anderen, größeren Affen und gab ihm dann einen Keks zur Belohnung.

Abwärts schaffte ich 3/4 des Weges barfuß, dann begannen die Füße zu schmerzen und ich holte die Schuhe aus dem Rucksack. Bisher hatte noch keine Fußmassage für solch eine gute Durchblutung gesorgt!

Unten am Berg knurrte mein Magen heftig, denn mein Frühstück hatte ja nur aus einer Tasse schwarzem Kaffee und einem Keks bestanden. Den Kaffee hatte ich mir selbst gemacht mit einem 10 cm langen Tauchsieder, den ich für umgerechnet 1,80 Euro im kleinen, vollgepackten Supermarkt, der eher einem Tante-Emma-Laden ähnelt und der sich genau gegenüber vom Ramana Ashram befindet, gekauft hatte. Der Laden quillt fast über vor Waren, jeder noch so kleine Winkel ist genutzt und es gibt dort alles von Lebenssmitteln wie z.B. Käse, Butter, über Getränke aller Art, Haushaltswaren, Anti-Mückenmittel, Waschmittel, einfaches Geschirrt und Besteck bis hin zu ayurvedischen Arzneimitteln. Ich bin mir sicher, ich hab vieles nicht aufgezählt… Manchmal bin ich versuch,  dort zu fragen, ob sie auch einen Elefanten zu verkaufen haben und glaube fast, der würde dann von den Verkäuferinnen auch irgendwie hervorgezaubert!

Als ich dann, wie gesagt, unten ankam, ging ich in eines der typisch indischen Restaurants und bestellte ein Thali und einen Tulsi-Tee:

Thali

Thalis sind typisch indische Gerichte, die Reis (diesmal roten Reis), Gemüse, Sambar (Soße auf Linsen- und Tamarindenbasis), Rasam (Suppe aus Linsen und Tamarinde), Pickle (scharf!), Chapati, Naan und Puri (siehe rechts im Bild)  sowie Joghurt zur Linderung der Schärfe umfasst. Als Nachtisch ist dann noch Obst dabei, diese Mal waren es Wassermelonestücke in einem Schälchen und eine große  Banane. Das war das beste Thali, das ich bisher in Indien gegessen habe! Satt und hundemüde ging ich in mein Zimmer und schlief eine Stunde wie ein Stein – bequemer als dieser Hund auf der Straße:

 

 

Weiterfahrt nach Tiru – Ankunft

Genug vom Touristenleben in Mahabs – es zieht mit nach Tiruvannamalai, einer Stadt von 145.000 Einwohnern am Fuße des heiligen Berges Arunachala.

Arunachala

Tiru – wie es von den Einwohnern kurz genannt wird – ist bekannt für den indischen Weisen Ramana

Ramana

(und einigen weitere Gurus wie z.B. Annamalai, Sri Seshiatri, Rama Kumar), der den größten Teil seines Lebens an diesem Berg lebte und als großer Guru verehrt wird. Viele Inder und Westler pilgern hier jedes Jahr hin und einige Westler sind nie wieder losgekommen von diesem Ort; so entwickelt sich im Bereich um den Ashram Ramanas herum eine internationale spirituelle Bevölkerung. Ramana gehört zu den Vertretern des Advaita-Vedanta, eine Lehre, die die Welt auf ein einziger, nicht dualistisches Prinzip zurückführt. Soweit stark verkürzt – das ist ein Thema unzähliger philosophischer Abhandlungen und Bücher…

Um 8 Uhr morgens geht es los mit einem indischen Fahrer in einem kleinen Auto. Taxis in Indien sind für Westler erschwinglich und da es nur Linienbusse nach Tiru gibt, die nicht vorbuchbar und meistens vollgepfercht sind über den letzten Platz hinaus, leiste ich mir diesen Luxus. Zumal es per Bus mehr als 6 Stunden wären und ich auch noch umsteigen müsste.

Wir fahren ein Stück über eine Autobahn und auf kleineren Straßen, sind Teil des hupenden, quirligen Linksverkehrs; ich sehe das typisch indische Bild vom Straßenverkehr: in den Orten stehen Kühe unbewegt auf der Straße, die Fahrer umrunden diese vorsichtig, egal ob Auto, Tuk-Tuk, Fahrrad oder Moped. Die heilige Kuh darf alles. An einer der Landstraßen sitzen auf eine Länge von mehr als 1 km Affen einzeln oder in Gruppen aufgereiht am Straßenrand und besehen sich die vorbeifahrenden Autos. Wie im Zoo…

Auf der Fahrt kommen wir durch den Ort Ginjee, eine Stadt, die durch eine Burg aus dem 9. Jahrhundert bekannt ist. An einer der Kreuzungen fällt mir ein großes Gebäude auf: All Women’s Police Station – eine Polizeistation nur mit und wahrscheinlich vor allem für Frauen. Offensichtlich eine Neuerung, da die Gewalt gegen und an Frauen mehr in den Blick gerät in der modernen indischen Gesellschaft.

Nach 3 Stunden sind wir in dem Ort, den ich sehr liebe: Tiru. Der Fahrer setzt mich am Ramana-Ashram ab und ich schultere den Rucksack. Nur wenige Meter weiter befindet sich immer noch einer der kleinen Internet-Shops, dessen Besitzer mir und meiner Frau früher öfters Unterkunft vermittelt hat, in dem man auch SIM-Karten bekommt und Geld wechseln kann – Ratschläge aller Art für dies und das natürlich auch. Nach 4 Jahren erkennt er mein Gesicht wieder und freut sich, mich wiederzusehen. Er gibt mir den Tipp, ein paar Meter weiter in einem Guesthouse zu fragen, setzt eine SIM Karte in mein Smartphone ein und wechselt meine Euros zum Tagespreis in Rupies. Schon mal einiges Wichtiges erledigt! Tatsächlich bekomme ich in einem Guesthouse ein paar Meter weiter zumindest für eine Woche ein Zimmer zu einem erschwinglichen Preis. Danach werde ich weitersehen. Bleibe ich die geplanten 3-4 Wochen hier und suche dann nach etwas Anderem? Reise ich weiter? Alles ist offen.

Der Rucksack ist schnell ausgepackt. Ich wohne im Grünen: Im Garten ringsum sitzen Affen (eigentlich turnen sie eher herum ?), spazieren Pfaue und ich fühle mich glücklich. Das Zimmer ist mit westlichen Standards nicht zu vergleichen, aber für umgerechnet 7,80 Euro habe ich ein ruhiges, zentrales Zimmer, sogar Warmwasser und zwei Spiegel zusätzlich zur Grundausstattung Tisch, Bett, Stuhl. Als Luxus hängen 3 Kleiderbügel an der Gardinenstange!

 

Auch das liebe ich an Indien: Immer wieder wird mir klar, wie wenig ich zum Leben brauche. Auch wenn die Einrichtung etwas ramponiert aussieht, davon hängt mein inneres Glücksempfinden nicht ab.

Auf dem Weg zu einem der Restaurants komme ich an dem alten Obsthändler vorbei, bei dem wir damals immer kauften. Er strahlt und freut sich offensichtlich, mich wiederzusehen. Unglaublich – dieses Erinnerungsvermögen der Inder! Ich nehme meine kleinen Lieblingsbananen mit und bekomme – wie damals – eine dazu geschenkt. Eine kleine Geste, die erfreut. Als ich weitergehe, schießt ein Tuk-Tuk über die Straße auf mich zu und hält neben mir. Ich schaue hinein und sehe die strahlenden Augen unseres damaligen bevorzugten Tuk-Tuk-Fahrers Venkatesh. Er gibt mir seine Telefonnummer und ich freu mich darauf, auch dieses Jahr wieder mit ihm fahren zu können. Tuk-Tuks sind sehr günstig und für 40 – 60 Cent kann man sich im Ort herumfahren lassen, wenn die Füße schmerzen oder die Hitze zu viel wird.

Als ich am Abend früh ins Bett gehe – es wird auch hier bereits um 18 Uhr dunkel – freue ich mich wieder in Tiru zu sein.