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Indische Rituale

Heute ist mir wieder einmal aufgefallen, wie wichtig Rituale für die Inder sind. Der Hausbesitzer des Nachbarhauses geht z.B. morgens mit klingelnden Glöckchen auf der Terrasse auf und ab und räuchert mit Räucherstäbchen.

Auf der Straße sah ich einen LKW-Fahrer, der ein kleines Kerzenlicht um seinen riesigen LKW herumtrug. Er hatte die kleine Kerze aus einem der vielen Tempel an der Hauptstraße bekommen und umrundete seinen riesigen LKW – sicher bat er damit die Götter, und ganz speziell seine Götter, um gute Fahrt.

In Mahabalipuram zerschmetterten die Ladenbesitzer jeden Morgen eine Kokusnuss vor ihrem Laden und baten damit um gute Geschäfte.

Wenn ein Inder ein Motorrad oder ein Auto kauft, dann wird das Fahrzeug gesegnet und mit Blumen geschmückt vor der ersten Fahrt. Und sicher gibt es noch viele mehr, die mir noch nicht aufgefallen sind.

All diese Handlungen  wirken auf mich, als ob sie routinemäßig ausgeführt werden – wie gewohnheiten, die jedoch Sicherheit geben und nicht weggelassen werden können.

Und hier in Indien habe ich auch das Ritual angenommen, morgens Räucherstäbchen anzuzünden und damit bewusst einen neuen Tag zu beginnen.

Der Weg auf den Arunachala

Hinter dem Ramana-Ashram geht ein Weg den Berg hinauf zum Arunachala und zu einem kleinen Ashram ein Stück unterhalb des Berggipfels, dem Skanda Ashram, in dem Ramana, der Weise vom Arunachala, sieben Jahre seines Lebens in Abgeschiedenheit lebte.

Skanda Ashram Wegzeiger

Der Weg hoch dauert ca. 1 Stunde und ich bin ihn barfuß gegangen – als Pilgerweg, Schritt für Schritt, achtsam von Stein zu Stein.

Weg hinauf

aufwärts – in der Mitte ein frisch angepflanztes Bäumchen

Im Gegensatz zu den Straßen und Gassen in Tiru wird dieser Weg sauber gehalten; ein paar Inder sind unterwegs am Berg und sammeln alles ein, was die Touristen – vor allem, die Inder, die auf Sightseeeing-Tour sind – an Papier und Verpackungsmaterial fallen lassen. Vermutlich sind die Müllsammler vom Ramana Ashram eingestellt.

Die Wanderung ist schweißtreibend, auch wenn weite Strecken unter schattigen Bäumen verlaufen. Der Hang am Arunachala gehört zu einem Wiederaufforstungsprogramm und die kleinen, frisch angepflanzten Bäumchen werden gewässert und gepflegt. Unterwegs sind mir Affen von beachtlicher Größe begegnet, von denen ich Abstand gehalten habe, und kleine gelbliche, braun gestreifte Eichhörnchen, die sich nicht von der Kamera einfangen lassen wollten.

schon ziemlich weit oben – Blick auf Tiruvannamalai

Oben im Ashram war eine unglaubliche Stille; einige Meditierende – meist Westler – saßen tief versunken in Ramanas Raum vor seinem Bildnis. Als ich mich setzte, waren ziemlich schnell alle Gedanken verschwunden und obwohl ich die Augen geöffnet hatte, verschwand die Welt um mich herum in irgendeiner, unbeschreiblichen Weise und alles Gesehene schien nur noch ein Bild zu sein, weit, weit weg. Raum und Zeit gingen verloren.

Skanda Ashram

Es gibt nur zwei kleine Räume, die aus dem felsigen Berg herausgearbeitet wurden. Neben dem Hauptraum, in dem Ramanas Bild steht, gibt es einen kleinen Raum, in dem ein Altar für seine Mutter aufgebaut ist. Dort starb sie auch und „wurde befreit“ , nicht nur von diesem Leben sondern auch aus dem Zyklus der Wiedergeburt.

Ramanas Mutter

Später wanderte ich noch etwas im grün wuchernden Garten vor dem Ashram herum. In einem der Bäume entdeckte ich diesen kleinen Kerl, der unermütlich am Deckel der Plastikflasche nagte.

Der Priester, der den Ashram betreut, spielte Schattenboxen mit einem anderen, größeren Affen und gab ihm dann einen Keks zur Belohnung.

Abwärts schaffte ich 3/4 des Weges barfuß, dann begannen die Füße zu schmerzen und ich holte die Schuhe aus dem Rucksack. Bisher hatte noch keine Fußmassage für solch eine gute Durchblutung gesorgt!

Unten am Berg knurrte mein Magen heftig, denn mein Frühstück hatte ja nur aus einer Tasse schwarzem Kaffee und einem Keks bestanden. Den Kaffee hatte ich mir selbst gemacht mit einem 10 cm langen Tauchsieder, den ich für umgerechnet 1,80 Euro im kleinen, vollgepackten Supermarkt, der eher einem Tante-Emma-Laden ähnelt und der sich genau gegenüber vom Ramana Ashram befindet, gekauft hatte. Der Laden quillt fast über vor Waren, jeder noch so kleine Winkel ist genutzt und es gibt dort alles von Lebenssmitteln wie z.B. Käse, Butter, über Getränke aller Art, Haushaltswaren, Anti-Mückenmittel, Waschmittel, einfaches Geschirrt und Besteck bis hin zu ayurvedischen Arzneimitteln. Ich bin mir sicher, ich hab vieles nicht aufgezählt… Manchmal bin ich versuch,  dort zu fragen, ob sie auch einen Elefanten zu verkaufen haben und glaube fast, der würde dann von den Verkäuferinnen auch irgendwie hervorgezaubert!

Als ich dann, wie gesagt, unten ankam, ging ich in eines der typisch indischen Restaurants und bestellte ein Thali und einen Tulsi-Tee:

Thali

Thalis sind typisch indische Gerichte, die Reis (diesmal roten Reis), Gemüse, Sambar (Soße auf Linsen- und Tamarindenbasis), Rasam (Suppe aus Linsen und Tamarinde), Pickle (scharf!), Chapati, Naan und Puri (siehe rechts im Bild)  sowie Joghurt zur Linderung der Schärfe umfasst. Als Nachtisch ist dann noch Obst dabei, diese Mal waren es Wassermelonestücke in einem Schälchen und eine große  Banane. Das war das beste Thali, das ich bisher in Indien gegessen habe! Satt und hundemüde ging ich in mein Zimmer und schlief eine Stunde wie ein Stein – bequemer als dieser Hund auf der Straße:

 

 

Kleine Erlebnisse

Seit gestern lächeln mein Vermieter und sein Vater über mich, genauer gesagt lachen in sich hinein, wenn sie mich sehen. Warum? Tja, ich hatte mein eigenes Nummernvorhängeschloss aus Deutschland mitgebracht und habe es aus Versehen anscheinend beim damit Hantieren verstellt. Als ich jedenfalls nur kurz um die Ecke war, um Wasser zu holen und das Schloss bei der Rückkehr wieder öffnen wollte, ging es nicht auf. Ich bat meinen Vermieter um Hilfe und der schnappte sich einen Holzhammer, einen alter verrosteten Eisenriegel und hämmerte das Schloss mit diesen einfachen Mitteln auf. Nach 5 Minuten konnte ich wieder in mein Zimmer. Seinem Gesichtsausdruck nach vermutete er, dass ich die Zahlenkombi vergessen habe … Jetzt nehme ich doch das vom Vermieter zur Verfügung gestellte Vorhängeschloss mit Schlüssel. Fazit: Schloss kaputt, Ruf ruiniert und um die Erfahrung reicher, wie schnell Schlösser zu knacken sind…

Heute ist wie auch schon gestern ein wolkiger, verhangener Tag, ab und zu regnet es ein bisschen und es ist gut, einen Schirm dabei zu haben. Der Arunachala ist nur zu ahnen hinter den Wolken. Und meine Wäsche auf der Leine im Garten hat eine Extraspülung bekommen. Mist!

Aber der Garten vor meinem Zimmer grünt ganz frisch und hat eine Kuh angelockt, die niemand vertreibt, denn sie ist ja heilig.

Es sind ca. 24° und ein angenehmes Lüftchen weht, für mich sehr gut auszuhalten, für die Inder ist das Winterfeeling und sie setzen ihre Mützen auf.

Beim Bummeln entlang der Straße kam ich wieder bei meinem freundlichen Obsthändler und seiner Frau vorbei. Wie immer schenkte er mir zu den 2 gekauften kleinen Bananen noch eine dazu. Ich bat die beiden um ein Foto und sie willigten ein. Wie immer, wenn man Fotos von Indern macht, schauten die beiden sehr ernst drein, das scheint sich so zu gehören. Als ich fertig war, strahlten beide wieder und lächelten breit. Das sind die kleinen Begegnungen, die mein Herz erwärmen.

Beim Weiterbummeln kam ich bei einem Straßenhändler vorbei und sah ein einfaches Armband aus Kupferdraht und Elefantenhaaren. Es gefiel mir und ich fragte nach dem Preis: 450 Rupien (umgerechnet 5,80 Euro) war die Antwort des jungen Händlers. Da Handeln ein großes Thema ist in Indien, bot ich 2oo Rupien und wir handelten eine Weile. Aus Erfahrung weiß ich, dass der Preis bei etwa der Hälfte des ursprünglich genannten Preises liegen sollte. Schließlich drehte ich mich um und meinte, ich wolle das Armband doch nicht (das ist die letzte Stufe des Handelns!) und wir einigten uns auf 220 Rupien. Das Armband ist mein!

Als ich am Abend zum Essen ging, zeigte mir der indische Kellner, dass er das gleich Armband trägt – und es kam raus, dass er nur 100 Rupien bezahlt hatte dafür… Er zwinkerte mir zu und meine nur lakonisch: Touristenaufschlag!

Auf dem Heimweg begegnete ich einer Gruppe von trommelnden Indern, die zwei über und über mit Blumen geschmückte Wagen in einen der Ashrams an der Straße geleiteten. Auf den Wagen befanden sich goldene Götterbilder und die Götter wurden freudig nach Hause begleitet. Hin und wieder stoppten die Wagen und es wurde getanzt.

Zum Frühstück habe ich heute Zeitung gelesen (The Hindu) und einen interessanten Artikel zu Indien gefunden: Auch wenn inzwischen oft vor allem von den Politikern verkündet wird, dass das Kastenwesen an Bedeutung verliert und alle Inder Chancen auf sozialen Aufstieg bekommen sollen, ist das Kastendenken doch noch fest in den Köpfen und im Alltag verankert und niedere Kasten vor allem die niedrigsten, die Unberührbaren (die Dalits), werden stillschweigend verachtet. Es ist die Aufgabe der Dalits, für die Sauberkeit auf den Straßen zu sorgen; sie gehen mit kleinen zweirädrigen Handwägelchen durch die Straßen und Gässchen und sammeln Müll ein. Oft sind sie von den städtischen oder dörflichen Verwaltungen eingestellt. In einem indischen Dorf namens Thirthahalli im Gebiet Karnataka hatte der Panchayat, der von der Dorfgemeinschaft gewählte Weise, die Idee, eine Theatergruppe zu gründen, die nur aus diesen Straßenreinigern besteht. Dies war ein voller Erfolg: Die Dorfbewohner sehen die Straßenreiniger mit neuen Augen, akzeptieren und achten sie als Schauspieler. Gleichzeitig steigt durch das Theaterspielen und die Aufführungen das Selbstbewusstsein dieser oft missachteten und übersehenen Kastenmitglieder. Laut Zeitung haben einige Mitglieder der Theatergruppe so ihre Alkohol- und Nikotinabhängigkeit überwunden. Ein kleiner, erfreulicher Schritt zur Veränderung der Kastengesellschaft.

Gerade schaue ich über die Brüstung des Cafés, in dem ich mich ausruhe und sehe die kleine Straße entlang. Wieder einmal wundere ich mich, wie die Stromleitungen in diesem Wirrwarr funktionieren können ohne dauernde Kurzschlüsse. Wieder einmal staune ich. Unglaubliches Indien!

Apropos Strom: Nach wie vor gibt es tagsüber und nachts Stromsperren, um Strom zu sparen, es bleibt dunkel in den Zimmern und Geschäften und die Ventilatoren gehen nicht. Zum Glück dauert das jeweils nur etwa eine Stunde hier in Tiruvannamalai.

 

Weiterfahrt nach Tiru – Ankunft

Genug vom Touristenleben in Mahabs – es zieht mit nach Tiruvannamalai, einer Stadt von 145.000 Einwohnern am Fuße des heiligen Berges Arunachala.

Arunachala

Tiru – wie es von den Einwohnern kurz genannt wird – ist bekannt für den indischen Weisen Ramana

Ramana

(und einigen weitere Gurus wie z.B. Annamalai, Sri Seshiatri, Rama Kumar), der den größten Teil seines Lebens an diesem Berg lebte und als großer Guru verehrt wird. Viele Inder und Westler pilgern hier jedes Jahr hin und einige Westler sind nie wieder losgekommen von diesem Ort; so entwickelt sich im Bereich um den Ashram Ramanas herum eine internationale spirituelle Bevölkerung. Ramana gehört zu den Vertretern des Advaita-Vedanta, eine Lehre, die die Welt auf ein einziger, nicht dualistisches Prinzip zurückführt. Soweit stark verkürzt – das ist ein Thema unzähliger philosophischer Abhandlungen und Bücher…

Um 8 Uhr morgens geht es los mit einem indischen Fahrer in einem kleinen Auto. Taxis in Indien sind für Westler erschwinglich und da es nur Linienbusse nach Tiru gibt, die nicht vorbuchbar und meistens vollgepfercht sind über den letzten Platz hinaus, leiste ich mir diesen Luxus. Zumal es per Bus mehr als 6 Stunden wären und ich auch noch umsteigen müsste.

Wir fahren ein Stück über eine Autobahn und auf kleineren Straßen, sind Teil des hupenden, quirligen Linksverkehrs; ich sehe das typisch indische Bild vom Straßenverkehr: in den Orten stehen Kühe unbewegt auf der Straße, die Fahrer umrunden diese vorsichtig, egal ob Auto, Tuk-Tuk, Fahrrad oder Moped. Die heilige Kuh darf alles. An einer der Landstraßen sitzen auf eine Länge von mehr als 1 km Affen einzeln oder in Gruppen aufgereiht am Straßenrand und besehen sich die vorbeifahrenden Autos. Wie im Zoo…

Auf der Fahrt kommen wir durch den Ort Ginjee, eine Stadt, die durch eine Burg aus dem 9. Jahrhundert bekannt ist. An einer der Kreuzungen fällt mir ein großes Gebäude auf: All Women’s Police Station – eine Polizeistation nur mit und wahrscheinlich vor allem für Frauen. Offensichtlich eine Neuerung, da die Gewalt gegen und an Frauen mehr in den Blick gerät in der modernen indischen Gesellschaft.

Nach 3 Stunden sind wir in dem Ort, den ich sehr liebe: Tiru. Der Fahrer setzt mich am Ramana-Ashram ab und ich schultere den Rucksack. Nur wenige Meter weiter befindet sich immer noch einer der kleinen Internet-Shops, dessen Besitzer mir und meiner Frau früher öfters Unterkunft vermittelt hat, in dem man auch SIM-Karten bekommt und Geld wechseln kann – Ratschläge aller Art für dies und das natürlich auch. Nach 4 Jahren erkennt er mein Gesicht wieder und freut sich, mich wiederzusehen. Er gibt mir den Tipp, ein paar Meter weiter in einem Guesthouse zu fragen, setzt eine SIM Karte in mein Smartphone ein und wechselt meine Euros zum Tagespreis in Rupies. Schon mal einiges Wichtiges erledigt! Tatsächlich bekomme ich in einem Guesthouse ein paar Meter weiter zumindest für eine Woche ein Zimmer zu einem erschwinglichen Preis. Danach werde ich weitersehen. Bleibe ich die geplanten 3-4 Wochen hier und suche dann nach etwas Anderem? Reise ich weiter? Alles ist offen.

Der Rucksack ist schnell ausgepackt. Ich wohne im Grünen: Im Garten ringsum sitzen Affen (eigentlich turnen sie eher herum ?), spazieren Pfaue und ich fühle mich glücklich. Das Zimmer ist mit westlichen Standards nicht zu vergleichen, aber für umgerechnet 7,80 Euro habe ich ein ruhiges, zentrales Zimmer, sogar Warmwasser und zwei Spiegel zusätzlich zur Grundausstattung Tisch, Bett, Stuhl. Als Luxus hängen 3 Kleiderbügel an der Gardinenstange!

 

Auch das liebe ich an Indien: Immer wieder wird mir klar, wie wenig ich zum Leben brauche. Auch wenn die Einrichtung etwas ramponiert aussieht, davon hängt mein inneres Glücksempfinden nicht ab.

Auf dem Weg zu einem der Restaurants komme ich an dem alten Obsthändler vorbei, bei dem wir damals immer kauften. Er strahlt und freut sich offensichtlich, mich wiederzusehen. Unglaublich – dieses Erinnerungsvermögen der Inder! Ich nehme meine kleinen Lieblingsbananen mit und bekomme – wie damals – eine dazu geschenkt. Eine kleine Geste, die erfreut. Als ich weitergehe, schießt ein Tuk-Tuk über die Straße auf mich zu und hält neben mir. Ich schaue hinein und sehe die strahlenden Augen unseres damaligen bevorzugten Tuk-Tuk-Fahrers Venkatesh. Er gibt mir seine Telefonnummer und ich freu mich darauf, auch dieses Jahr wieder mit ihm fahren zu können. Tuk-Tuks sind sehr günstig und für 40 – 60 Cent kann man sich im Ort herumfahren lassen, wenn die Füße schmerzen oder die Hitze zu viel wird.

Als ich am Abend früh ins Bett gehe – es wird auch hier bereits um 18 Uhr dunkel – freue ich mich wieder in Tiru zu sein.

Akklimatisierung

 

Es ist heiß, sehr heiß in Mahabalipuram oder Mamalapuram, wie noch viele Hiesige sagen. Von 8° C in Deutschland auf 30-32° C ab Verlassen des Flugzeugs in Chennai ist es ein gehöriger Sprung, entsprechend schlecht schlafe ich auch, am Anfang auch wegen der Zeitumstellung: Ich bin 4 ½ Stunden der Zeit in Deutschland voraus. Aber die Nächte in Mahabs sind schwül. Die ersten beiden Tage tropfe ich wie ein Wasserhahn und bin froh, im kräftigen Wind am Strand vom Golf von Bengalen zu laufen und mich durchpusten zu lassen. Der Sand ist fein und es macht viel Spaß, barfuß zu laufen. Aber wie so oft in Indien ist der Strand nicht nur im Bereich der Fischer und ihrer Boote  sondern auch weiter außerhalb ziemlich schmutzig – nicht nur feine Teerreste sind zu finden, die die Fußsohlen schön schwarz machen, sondern es liegen tote Fische und Plastik aller Art herum. Glückstreffen am zweiten Tag: Ich habe eine Rupie gefunden. Zur Verschmutzung kommt noch, dass sich die Fischer ungeniert ans Wasser hocken, ihren Doti, das typisch indische Wickeltuch für Männer, hochschieben und sich erleichtern. Ist mir immer wieder peinlich, wenn ich gerade daran vorbei muss.

Trotz akutem Schlafmangel geht es mir ganz gut, die kräftigen Gewürze in den Curries und Biryanis sind zwar auch gewöhnungsbedürftig, aber das soll ja auch alle Bakterien töten… Ich verbringe viel Ruhezeiten, vor allem um die Mittagszeit, liege lesend auf dem Bett oder sitze auf dem luftigen Balkon; abends aber eher kürzer, da die Moskitos ab dem Dunkelwerden auf mich lauern. Trotz Insektenschutzmittel komme ich nicht ungeschoren davon. Zwei bis drei Mal am Tag wandere ich durch die engen Gässchen der Fishermen’s Colony, wie das kleine Viertel heißt, in dem ich wohne, stolpere immer noch über die vielen Hemmschwellen auf den betonierten Gässchen, die die Mopedfahrer bremsen sollen, und suche meinen Weg zu denjenigen Cafés und Restaurants, die bereits geöffnet sind. Es ist noch nicht Hauptsaison und es wird viel renoviert und neu gebaut für den erwarteten Touristenandrang ab Dezember. Die Dächer auf den Rooftops (Dachterrassen) werden abgedeckt und wenn man nicht aufpasst, fliegt einem schon mal ein Bündel alter Schilfrohre, die zum Decken der Terrassendächer verwendet wurden, vor die Füße. In Kürze werden die neuen Schilfrohrbündel angeliefert und alles nach oben transportiert – wer Geld hat, baut sich ein Wellblechdach.

 

Auf dem Rückweg vom Essen halte ich dann an einem der vielen „Loch-in-der-Wand-Läden“, die so typisch sind für Indien: Klein wie ein Kellerraum, vollgepackt mit Keksen, Süßigkeiten aller Art und Flaschen mit Trinkwasser und weiteren kleinen Dingen, je nach dem, was die Nachbarschaft so nachfragt, denke ich. Inzwischen kennt mich die Inderin schon, greift ungefragt in ihre Kühltruhe und holt eine 2-l-Flasche raus. Fürs Frühstück, zu dem ich kaum etwas esse – es ist morgens schon so heiß -, nehme ich heute noch Cashew-Mandel-Kekse mit.

Wie überall in Indien arbeiten die Frauen auf dem Bau, schleppen Sand herbei, tragen Ziegelsteine (auf dem Kopf) und wenige Meter weiter sehe ich von meinem Fenster aus ein halbes Dutzend Männer im Schatten einer Wand unter einem Baum sitzen und den ganzen Tag Karten spielen. Unglaubliches Indien – das gilt auch für das Nebeneinander von Schmutzhaufen, zum Trocknen ausgelegten Fischen und Knoblauchzehen sowie Stein- und Sandhäufen von irgendwelchen Umbauten, die längst abgeschlossen zu sein scheinen. Jedes Mal, wenn ich aus Indien zurück nach Deutschland komme, schießt mir der Gedanke durch den Kopf: „Ja, hier könnte man von der Straße essen…“.

Da ich die Touristenstätten in Mahabalipuram bereits kenne, gehe ich nicht nochmal zu dem berühmten Seetempel oder zu Kirshna’s Butter Ball, der an einem schrägen Hang unerklärlich fest steht, aber so aussieht, als würde er jeden Moment nach unten rollen, und einigen kleineren Tempeln in der Gegend. Nur die wunderschönen steinernen Wandskulpturen, die jedes Jahr nach Weihnachten als Kulisse für ein Tanzfest dienen, zu dem Tänzerinnen und Gruppen aus vielen indischen Bundesstaaten anreisen, sehe ich mir noch einmal an (siehe die Fotos auf der Fotoseite. Meine Akklimatisierung hier am Ort neigt sich dem Ende zu. Entschleunigung klappt auch schon ganz gut – die Südinder sind da ein gutes Vorbild.  Morgen werde ich nach Tiruvannamalai, einem spirituellen Ort mehr im Landesinneren fahren und dort nach einer neuen Unterkunft suchen. Mal sehen, was ich finde.

 

Angekommen

Puh, 9 1/2 Stunden Flug sind überstanden! Dank des Bordkinos – zwei Spielfilme gesehen – und der mitgebrachten Lektüre ging der Flug schnell vorbei. Das Flugzeug war zu 90 Prozent von indischen Reisenden besetzt: junge Männer in Jeans und T-Shirts, die in Deutschland arbeiten und vermutlich zu Ihren Familien  flogen auf Besuch, ältere indische Ehepaare, die auf dem Flughafen seltsam deplatziert wirkten – wie aus einer anderen, uns Westlern unbekanten Welt– Wahrscheinlich waren sie auf Besuch bei Verwandten und flogen jetzt  nach Südindien zurück: die Frauen im traditionellen Sari und dicke Schals darüber, die Männer in Hosen und T-Shirts oder Hemden und dicke Jacken darüber, das kalte Deutschland war sicher ein Erlebnis für sie, denn in Chennai sollte es bei der Ankunft kurz nach Mitternacht Ortszeit 28 Grad warm sein.

Nach der Landung und dem nervigen Anstehen am Schalter der Einwanderungsbehörde ging es dann zum Gepäckband. Ich machte einen kleinen Umweg über die Damentoilette und zog mir indische Kleidung an: eine weite orangefarbene Hose und ein langes weißes Blusenähnliches Oberteil mit einem Schal, mit dem die Frauen in indien den Brustbereich bedecken. Mein Rucksack, den ich für den Flug in eine Rucksackhülle gesteckt hatte, kam ziemlich schnell aufs Gepäckband und ich machte mich auf den Weg nach draußen. Ich hatte über meinen Vermieter, den Besitzer eines sehr kleinen Gästehauses (2 einfache Zimmer)  in Mahabalipuram, ca. 80 km südlich von Chennai an der südlichen Ostküste Indiens eine Abholung bestellt und es klappte: der Fahrer stand mit einem großen Zettel, auf dem mein Name stand, am Ausgang und rettet mich vor den anderen Fahrern, die sich auf mich stürzten, sowie ich die Nase aus dem Flughafengbäude steckte und die auf eine Verdienstquelle gehofft hatten. Vor 5 Jahren, als ich zuletzt in Indien war, war der bestellte Fahrer nicht aufzufinden und ich musste mir selber eine Mitfahrgelegenheit suchen: Ein Kleinbusfahrer nahm mich mit, da er auch nach Mahabalipuram wollte wie ich und unterwegs lud er nach und nach 4 müde, schweigende Männer ein, die alle in meine Richtung wollten. Ganz wohl war mir bei diesem Abenteuer damals nicht: im Dunkel der Nacht mit schweigsamen Indern 1 1/2 Stunden in einem fremden Land unterwegs…

Muthu mein Fahrer dieses Jahr stürzte sich mit mir in das Gewimmel der hupenden und sich vom Flughafen weg drängelnden Autos und Tuk-Tuks und eine Stunde später waren wir beim Gästehaus. Auch hier klappte alles, ein junger Inder war informiert über meine Ankunft und zeigte mir mein Zimmer: 16 m2, gefließt wie meistens in indischen Einfachunterkünften, möbliert mit einem Bett, einem Plastikhocker als Nachtisch, einem winzigen Tisch und – oh Luxus – einem Wasserkocher sowie zwei Korbhockern als Sitzgelegenheit. Ich habe auch einen kleinen Balkon und ein kleines Badezimmer, in dem mich die typisch indischen, durchdringenden Gerüche der Desinfektionsmittel empfingen. Immerhin gab es sogar eine westliche Toilette, was nicht selbstverständlich ist. Das Toilettenloch im Boden ist noch weit verbreitet… Bei den südindischen Temperaturen gibt es natürlich fast nie Warmwasser und so ist es auch dieses Mal hier: eine Kaltwasserdusche (laues Wasser aus dem Tank vom Dach) erfrischte mich und ich legte mich erschöpft vom langen Flug und der Klimaumstellung aufs Bett. Selbst der dünne Schlafsack ist fast zu warm, zumal es eine Luftfeuchtigkeit von 85% hat. Hier war es nach 2 Uhr nachts, in Deutschland halb Acht Uhr abends und ich muss mich noch an die Zeitverschiebung gewöhnen… schlafen gelingt mir noch nicht so richtig, aber Hauptsache ich kann mich ausstrecken und ausruhen; bin gespannt, wie es morgen bei Tageslicht hier aussieht.

Noch 5 Wochen …

Nur noch 5 Wochen bis zum Abflug! Mein Jahresvisum klebt im Reisepass, die ersten beiden homöopatischen Impfungen habe ich hinter mir, der Rucksack steht schon bereit und füllt sich langsam. Manchmal kann ich es kaum erwarten, bis mein letzter Arbeitstag Ende Oktober kommt und der Abflug kurz bevor steht. Und manchmal taucht ein bisschen Verunsicherung auf: Wie wird das sein, nach 4 Jahren wieder in Indien anzukommen? Werde ich mich wieder zuhause fühlen trotz aller Widrigkeiten? wie wird es sein, dieses Mal zuerst fast 5 Wochen alleine in Indien zu sein, bis wir dann zu zweit weiterreisen? Gemischte Gefühle … freudige Erwartung, leichte Unsicherheit und das Bewusstsein, dass ein neuer Lebensabschnitt anfängt mit dem Rentenbeginn und ganz sicher der größte Teil meines Lebens gelebt ist. Aber irgendwie ziehen diese Gefühle und Gedanken auch wieder vorbei, mit einem tiefen Atemzug bin ich wieder im Hier und Jetzt und das Zeitgefühl tritt in den Hintergrund. Sekunden, Minuten, Stunden, Tage – alles Konstrukte, damit wir den Fluß des Lebens, in dem wir uns bewegen, irgendwie fassen können.

Blog Indien – der Anfang

Reisevorbereitungen (26.08.2017)

Indien – erst war es nur so ein Gedanke: Nach Rentenbeginn fahre ich endlich wieder einmal nach Südindien! Das Land, in dem ich immer nur minimalistisch gelebt, auf harten, nach Mottenpulver riechenden Matrazen geschlafen habe, viel barfuß ging und fast immer das Gleiche an hatte: einen Salwar Kameez – nur die Farben wechselten und die wenigen Verzierungen der Oberteile unterschieden sich je nach gewähltem Hemd. 

Und dennoch:  Indien fühlt sich seit dem ersten Tag, an dem ich meinen Fuß auf indischen Boden setzte am Flughafen Chennai, wie Heimat an. Und bei jedem Besuch immer wieder dieses Gefühl des Nach-Hause-Kommens. Warum nur – werde ich es jemals herausfinden?

Nach 40 Jahren Berufstätigkeit, angestellt und selbständig, war es Zeit, die Segel neu zu setzen und wo anders als in Indien konnte das sein. In Indien, dem Land der Sinnsucher, Gurus, des Meditierens und der tiefen im Alltag verwurzelten Religiosität.

Knapp ein Jahr vor Rentenbeginn kam der Gedanke auf und rückte mit jedem Monat näher und wurde konkreter. Zuerst legte ich ein halbes Jahr vor dem geplanten Start die Reisedaten für den 2-monatigen Aufenthalt fest, dann buchte ich die Flugtickets. Mir dämmerte: Aha, jetzt wird es etwas mit der Reise. Dann war es über Monate eine beschlossene Sache, die aber im Alltag immer wieder in den Hintergrund rutschte.

Und nun sind es nur noch 2,5 Monate und weitere konkrete Maßnahmen  stehen an: Impfungen, Überlegungen, was ich mitnehme in meinem minimalistischen Gepäck, einem Rucksack (40x50x20 cm), Visumsantrag vorbereiten und die freiberuflichen Tätigkeiten auf „Fernbeziehung“ umstellen – zwei Monate werde ich digitale Nomadin sein. Das Notebook wird mit Fernzugang zum PC in der Heimat ausgestattet, die wichtigsten Zugriffe und Zugänge über Internet eingerichtet, z.B. auch auf diese Website und natürlich auf die Mails.