Archiv der Kategorie: Indienblog

Reisevorbereitungen, Reiseerlebnisse

Von Anatha aus Mahabs

4 ½ Wochen hat Eva mir von ihren Erlebnissen in Indien dank moderner Internet-Kommunikation erzählt. Jetzt bin ich auch da. Wir sind 2 Tage in Mamallapuram (1 Autostunde von Chennnai), damit ich mich akklimatisiere. Und  der Ort ist wie geschaffen dafür. Wir haben in einem kleinen Guesthouse am Ortsrand das beste Zimmer mit Balkon, das ich bisher in Indien erlebt habe! Ca. 5 Jahre sind es her, dass ich hier war und natürlich hat sich einiges verändert. Auffällig ist vor allem die neue Sauberkeit. Es gibt jetzt eine „Müllabfuhr“. Frauen mit einem Ausweis um den Hals, der sie als offiziell Angestellte ausweist, sind unterwegs. Unermütlich wird gefegt und der Müll eingesammelt und dann auf kleinen Wagen abtransportiert. Und: es gibt Behälter für die Mülltrennung! Unglaublich!

Der Ort ist überschaubar und ich fühle mich gleich angekommen. Es liegt eine gewisse Entspanntheit in der Luft, dabei gibt es durchaus Straßen mit viel Verkehr und Geschrei. Ich fühle mich wohl, kann es aber nicht genau erklären. Wichtig ist mir, eine Reise-Lebens-Kunst zu entwickeln. Und je mehr ich reise, umso besser werde ich darin. Morgen geht’s mit dem Rucksack nach Kerala. Wir fliegen 650 km südwestlich an die Westküste. Mit dem Auto mit Fahrer wären es 10 – 11 Stunden für ungefähr demselben Preis wie mit dem Flieger.  Das wird dann Neuland für mich sein und die Erfüllung eines alten Traumes: Kerala erleben. Wir werden sehen…

Pondicherry

Pondicherry liegt an der Ostküste am Golf von Bengalen und ist 6 km entfernt von Auroville. In Pondy, wie es kurz genannt wird, ist noch ganz stark der französische Einfluss zu spüren. Die Straßen haben zum Teil französische Namen, auf der Straße sind viele Franzosen zu sehen und zu hören, einige Häuser ähneln französischen Villen. Hier in Pondycherry ist der Ashram von Sri Aurobindo, in dem auch seine Grabstätte (Samadhi) zu besuchen ist, in der er mit „der Mutter“, der Französin, die mit ihm lebte, ihn überlebte und die Vision von Auroville und dem Matrimandir hatte und den Bau beauftragte, begraben liegt.

Samadhi von Sri Aurobindo und der Mutter

Gleich um die Ecke ein Hindutempelder Ganesh geweiht ist und in dem hunderte von Ganesh oder wie man auch sagt Ganapatti-Darstellungen zu finden sind. Leider war das Fotografieren innen nicht erlaubt.

Am Strand eine Statur von Gandhi  – überlebensgroß

Auroville – 5 Tage Staunen

Der erste Eindruck

Auroville ist Indien und doch nicht Indien. Es ist unglaublich grün hier – Büsche, unzählige Bäume. Kleine sandige Straßen, auf denen nur Mopeds, Motorräder, ganz vereinzelt Rikschas und kaum ein Auto verkehren, schmale Wege, die scheinbar in den Dschungel führen, kaum Wegzeiger und der gesamte Ort ist rund um den Kern, das „Herz“ von Auroville, den Matrimandir gebaut, den man von der kreisrunden Hauptstraße aus immer wieder durch die Bäume und Büsche blitzen sieht in seiner goldenen Pracht. Ich fühle mich ein bisschen wie auf einem anderen Stern, auch wenn ich von den indischen Bewohnern weiterhin das vertraute Tamil um mich herum höre.

Die Vision

Auroville soll die Einheit aller Menschen unabhängig von Religion, Nationalität, Ethnie, Geschlecht und Alter verwirklichen und gehört niemanden speziell, auch wenn es eine Auroville-Stiftung gibt, sondern es gehört laut Selbstverständnis der Gründer der Menschheit insgesamt.

Die UNESCO und der indische Staat unterstützen dieses Experiment. Es gibt ein indisches Gesetzt, das bestimmt, dass dieses Stück Land der gesamten Menschheit gehört. Der Beginn war die Vision einer Französin, „der Mutter“, die spirituell eng verbunden war mit dem indischen Dichter, spirituellen Lehrer und Politiker Sri Aurobindo. Das Projekt Auroville ist so umfassend, dass ich es hier in Kürze gar nicht darstellen kann und will, sondern auf die Website www.auroville.org hinweisen möchte für weitere Informationen. Dies ist die authentische Website, mit den korrekten Infos über Auroville. Auf anderen Websites und in der Presse findet man zuweilen kuriose Beschreibungen, wie z.B. dass der Matrimandir der Wasserspeicher von Auroville ist…

Seit der Gründung dieser Stadt im Februar 1968, bei der Vertreter von 124 Nationen einschließlich aller indischer Staaten anwesend waren, entstand in der Nähe von Pondicherry und der Ostküste von Südindien auf einem damals kargen Stück Land um einen Banyan Baum herum ein Ort, der jetzt  50 Jahre später versteckt in unzähligen Bäumen und Büschen liegt.

Es leben hier derzeit ca. 2.500 Menschen aus 49 Nationen, die daran arbeiten, auf der Basis eines veränderten menschlichen Bewusstseins ohne kriegerische Auseinandersetzungen mit Fokus auf friedliche Lösung von Konflikten und auf die Schaffung einer ökologisch gestalteten Umwelt zu leben. Als Kurzzeitbesucherin kann ich persönlich nur sagen, dass alle Menschen, denen ich begegne, ausnehmend freundlich und gelassen sind. Es gibt hier keine Bettler und Sadhus auf den Straßen, alles ist sauber. Als ich im Café neben dem Rathaus saß, erlebte ich am Nebentisch eine sachliche und ausführliche Diskussion von Einwohnern, die über konkrete Fragen der Weiterentwicklung sprachen – jeder wurde angehört, der Ton blieb sachlich und ruhig. Ganz anders, als wir es von Politikern gewohnt sind. Hier würde sich auch niemand als Politiker bezeichnen.

Der große Besuchermagnet ist der Matrimandir in der Mitte, ein Wunderwerk der Architektur, das neben dem oben erwähnten Baum entstand.

Auch hier möchte ich mich nicht in Details verlieren, nur kurz beschreiben, wie ich ihn erleben konnte. Zuerst erhielt ich einen Besucherschein für den Zugang an einem Tag zu einem Aussichtspunkt, von dem aus man die goldene Kugel gut sehen konnte, aber nur aus der Distanz. Dann musste ich mich zu einer bestimmten Zeit im Büro des Besucherzentrums anmelden und erhielt für den folgenden Tag eine der streng limitierten Besuchserlaubnisse. Beim ersten Mal wird einem dann erst einmal ein Film über das Experiment Auroville gezeigt, dann wird  man mit dem Bus in der Gruppe zum Matrimandir gefahren, ein Einwohner Aurovilles gibt eine mündliche Einführung und beantwortet Fragen. Fotografieren des Inneren und der wunderschön gestalteten Themengärten rings herum ist nicht möglich. Man muss Taschen und Handys am Eingang abgeben. Das Innere des Matrimandirs lässt einen nur sprachlos verstummen und beim konzentrierten Sitzen um den riesigen runden Kristall in oberen Bereich, der das Sonnenlicht auffängt und bündelt und den Strahl von oben bis ganz unten in einen Kristall unten in ein Wasserbecken in der Form eines Lotus, des Symbols des Wandels, leitet, wurde ich ganz still.

Auroville ist ein phänomenales Experiment: Irgendwann sollen hier 50.000 Menschen leben. Der Ort soll auch Impulse geben, den Gedanken eines friedlichen Zusammenlebens in die Welt zu tragen, soll ermuntern, an der Überwindung all der menschlichen Eigenschaften zu arbeiten, die einem verträglichen Miteinander im Weg stehen. Derzeit ist noch vieles im Aufbau, die atemberaubend schönen Gärten um den Matrimandir herum werden noch weiter gestaltet, es gibt bereits viele Angebote im Bereich Kunst und Kultur, viele Yoga-Kurse, denn Yoga wurde von der Mutter und Sri Aurobindo als direkter Weg zur Vollendung des Menschseins gesehen, als Weg zu einem „Superman“, wie es in einem Text heißt. Heilanwendungen auf körperlicher und energetischer Ebene werden ebenfalls viel angeboten.

Ich war nur 5 Tage hier und habe sicher nur einen oberflächlichen Eindruck gewinnen können. Es ist aber ein Ort zum Staunen, zur Arbeit an der Verwirklichung von Visionen.

Mein Guesthouse war sehr einfach; mein Zimmer in einer kleinen Hütte im Garten lag ebenerdig, bot durch die verzogene Holztür viel Zugang für Ameisen aller Größe, die mich nachts öfters zwickten, obwohl ich unter einem Moskitonetzt schlief. Das Badezimmer teilten sich mehrere Personen. Aber der Garten des Guesthouses war wunderschön – ein großer Banyan-Baum, viele Bäume, Büsche und Blüten. Nachts zirpten die Grillen, quakten Frösche und in den Morgenstunden waren verschiedenste Vögel zu hören.

 

Incredible India – wundersames, unglaubliches Indien

So langsam finden sich immer mehr neue Westler hier ein: Vor allem in den westlich geprägten Cafés und Restaurants drängen sich viele europäische und außereuropäische Nationalitäten. Die Saison beginnt.

In einem der angesagten Cafés sitzt ein junger Inder an einer kleinen Mühle und bietet an, biologisch gezüchtetes Weizengras zu pressen und für umgerechnet 1,30 Euro bekommt man ein Schnapsgläschen voll mit gesundem Weizengrassaft. Der junge Mann hat sein eigenes Geschäft im Café aufgemacht und hofft – wie so viele arme Inder – auf eine „Rags-to-riches“ (aus Lumpen zum Reichtum) Karriere – die indische Version des amerikanischen Traums vom Tellerwäscher zum Millionär. Und der Restaurantbesitzer freut sich über die Kunden, die gesund leben wollen und das vergünstigte Sonderangebot – eine Woche jeden Tag ein Schnapsgläschen – in Anspruch nehmen und gleichzeitig bei ihm etwas konsumieren.

Ähnlich einfallsreich ist die Geschichte von dem Mann, der jeden Tag auf einem indischen Bahnhof steht und diejenigen Menschen einsammelt, die den Zug verpasst haben, und sie dann zu einem vernünftigen Preis zur Arbeit fährt. Es gibt einen Begriff in der Hindi-Sprache, der Jugaad heißt und so viel wie kreative Improvisation, erfinderisch sein und Niederlagen nicht zu akzeptieren bedeutet. In diesem Sinne wird eine verpasste Gelegenheit, Geld zu verdienen als unverzeihliche Verschwendung gesehen.

Das Streben nach persönlichem Wohlergehen verbinden die Hindus und Inder ganz praktisch mit ihrem spirituellen Leben; letzteres gibt ihnen Stärke und Hoffnung. Ein indischer Diplomat drückte dies einmal so aus: „Der Hinduismus ist voller geheimnisvoller Möglichkeiten eines tropischen Dschungels.“

Wie gesagt beinhaltet die Spiritualität immer eine praktische Dimension: Die Hindupriester aus der Kaste der Brahmanen möchte  für jede Zeremonie, die er durchführt, bezahlt werden, die Sadhus strecken bittend die Hand nach Rupien aus und segnen einen dafür.

Wie bekannt sind den Indern die Kühe heilig. Das heißt nicht nur, dass die Kühe unbehelligt mitten auf der Straße stehen können und jeder einen großen Bogen um sie herum macht, sondern hat auch zur Folge, dass die Dehnungsfugen der unzählichen Eisenbahngleise im ganzen Land so konstruiert sind, dass die Hufe der Tiere sich nicht darin verfangen können. Wer würde im Westen an so etwas denken…

Die Spiritualität der Inder, die viele von uns Westlern so in dieses Land zieht, uns fasziniert und immer wiederkommen lässt, führt nicht unbedingt zu einem ethisch vorbildlichen Verhalten im Alltag. Die Inder denken nicht in Schwarz-Weiß Dimensionen, es gibt unzählige Grauschattierungen. In dieser Grauzone bewegt sich auch die Korruption, die so schwierig zu bekämpfen und überhaupt festzustellen ist. Es sei genauso schwierig festzustellen, ob ein Regierungsbeamter Gelder annimmt, wie ob ein Fisch Wasser trinkt, sagt Pavan K. Varma, ein indischer Schriftsteller. Korruption erhöht die Effizienz und hat nichts mit absoluten Moralbegriffen zu tun.

Im heutigen Indien gibt es noch eine gewaltige Schere zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und Tradition und Aberglaube. Einerseits explodiert die Zahl der Universitätsabsolventen vor allem im IT-Bereich, andererseits akzeptieren viele dieser jungen Männer immer noch, dass ihre Eltern sich im Freundes- und Bekanntenkreis umschauen, Anzeigen in Tageszeitungen schalten mit Angabe der gewünschten Religion, Kastenzugehörigkeit und Hautfarbe (je heller desto besser) und eine ihrer Meinung nach passende Frau aussuchen. Im Bundesstaat Kerala, in dem der Bildungsstand sehr viel höher ist als in anderen Staaten, beginnt sich jedoch Tinder, eine internetbasierte Kontaktbörse, zu verbreiten. Das ist fast schon eine Revolution. Andererseits haben traditionsorientierte Jugendliche in Kerala noch im Jahr 2014 ein Café angegriffen und demoliert, in dem Paare ein und ausgingen, die sich dort – sozusagen öffentlich – küssten. Das ist immernoch ein No-go.

Ich hatte einmal einen indischen Kollegen, der in der IT-Abteilung der Firma arbeitete, in der ich den Verwaltungsbereich leitete. Er hatte es gewagt, gegen alle Hindernisse die Frau zu heiraten, in die er sich auf dem College verliebt hatte; sie war auch noch aus einer etwas höheren Kaste und die beiden mussten um ihre Liebe kämpfen. Ich habe sie als ein glückliches Paar gesehen und erlebte ihren Elternstolz nach der Geburt ihres ersten Kindes in Deutschland. Aber der junge Inder war immer etwas unter Druck, seine Fähigkeiten zu beweisen und Karriere zu machen und arbeitete sehr, sehr hart. Zudem wollte er nicht wieder nach Indien zurück. Nach Frankfurt war London seine nächste berufliche Station. Die beiden wollten der Traditionsgläubigkeit ihres Landes entgehen.

Der Aberglaube treibt aber, wie gesagt, immernoch seine Blüten. So habe ich gelesen, dass 50 km entfernt von Kalkutta auf dem Land ein junges Mädchen mit einem Hund verheiratet wurde, da der Dorfastrologe dazu geraten hatte.

All die Westler, die auf der Suche nach spirituellen Gipfelerlebnissen nach Indien kommen und Gurus (be)suchen, erleben einen speziellen Ausschnitt des indischen Lebens. Sicher hat dies vielen zu einer erneuerten und erweiterten Sicht des Lebens verholfen, der Alltag in Indien sieht anders aus, ist dies nicht.

 

Nach dem großen Fest

Inzwischen hat sich die Straße um den Berg wieder geleert und unzählige Inderinnen und Inder fegen die Straße, leeren die Papierkörbe, die alle paar Meter aufgestellt wurden und laden den Müll auf Lastwagen. Ab und zu geht noch mal ein Grüppchen von Indern auf die Bergumrundung, ein paar wenige Stände mit Wasser und Essen sind noch da. Alles ist wieder friedlich hier. Wie mir heute ein Inder sagte, sollen es 2 Millionen Menschen gewesen sein, die an den drei Haupttagen um den Berg wanderten. Der Aufgang zum Arunachala war gesperrt, da letztes Jahr zu viele Menschen hinaufkletterten und sich zum Teil im Gedränge verletzt haben.

Als ich aus meiner Unterkunft, die etwas außerhalb liegt, zum Ramana-Ashram wanderte, begegneten mir diverse Wagen mit dem blumengeschmückten Shiva. Als ich fragte, ob jetzt die Götterbilder um den Berg gefahren werden, sagte man mir, ja, da Shiva sich bei den Festlichkeiten verausgabt habe und zu viel gegeben habe, wandere er jetzt um den Berg und sammle Gelder.

Shiva umrundet den Berg

Auf dem ca. drei Kilometer langen Weg zum Ashram bot sich mir immer wieder der Blick auf saftig grüne Reisfelder.

 

und ich begegnete einigen Sadhus, die heute ihren Waschtag hatten…
Die Hecke dient als Wäscheleine

… das nahm ich als Anregung und habe eben bei meiner Rückkehr meine Wäsche im großen Eimer eingeweicht. Waschmaschine gibt es hier natürlich nicht, alles Handarbeit.

Im Ramana-Ashram brennt noch das heilige Feuer (Agni) das in einer Zeremonie (Agnihotra) angezündet wurde.

Ein Ashram-Mitarbeiter gießt immer wieder Butterfett nach, damit das Feuer nicht ausgeht.

 

 

Nochmal Deepam: Girivalam

Girivalam, die Wanderung um den Berg, ist auch heute noch im Gange, obwohl laut offiziellem Kalender die Feierlichkeiten gestern zuende gegangen sind. Der Vollmond ist jedoch noch gut zu sehen und das Feuer auf dem Arunachala brennt noch.

Unterwegs – Girivalam

Heute bin ich ein paar Kilometer mitgewandert und habe noch ein paar fotografische Eindrücke gesammelt vom Straßenrand, der auch immernoch einem Jahrmarkt gleicht. Nicht nur Essen, Kleidung, Schmuck, sondern z.B. auch Haushaltsartikel, Handyohrhörer und Gummifußmatten habe ich an den Ständen gesehen.

Dazwischen die vielen vielen Tempel aller Größenordnungen; die unzähligen Götter der Hindus haben alle ein „Haus“ am Weg…

Tempelbesuch – Ganesha-Tempel

kleiner Tempel mit Sadhu

 

 

 

 

 

 

mit Girlanden geschmückte Shiva Statue   

 

 

 

 

 

heiliges Feuer vor einem Tempel


Hier wird Zuckerrohr durch die Maschine „gemangelt“ und ein Saft gewonnen.


Schmuckstand


Getreide aller Art und Kichererbsen


Ananas zur Erfrischung bei der Umrundung            
Kartenlesen ist sehr populär – und die ganze Familie hört mit, was geweissagt wird

Die Straße wird leerer gegen Abend

 
Auch der Viehmarkt ist verkleinert – es werden
vor allem nur noch Pferde angeboten.


Vollmond über dem Arunachala – Gute Nacht, liebe Leserinnen und Leser!

 

Karthikai Deepam …

… das tamilische Lichterfest

Heute am 2. Dezember ist ein ganz besonderer Tag als Abschluss einer 10-tägigen Festzeit. Deepam, das tamilische Lichterfest wird mit dem Entzünden eines riesigen Feuers (unter Verwendung von 3500 kg Ghee, dem indischen Butterfett) auf dem Berg Arunachala beendet. Da diese Tage für die Hindus heilige Tage sind wegen einer speziellen Sternenkonstellation und des Vollmonds pilgern zum Teil schon seit gestern aber ganz vermehrt seit heute ganz früh tausende und abertausende von Gläubigen barfuß rund um den Berg (ein Rundgang von ca. 14-15 km) und das wird die ganze Nacht andauern. Es wird getutet, getrommelt und skandiert und die Luft vibriert förmlich vor Energie. Da ich aus meiner Unterkunft vorgestern raus musste, da sie vorbestellt war für Depaam, wohne ich jetzt etwas außerhalb, dafür aber direkt am Weg um den Berg und etwas komfortabler: Das Zimmer ist sauber, die Matratze nicht staubig, die Bettlaken sind frisch und nicht voller Löcher. Aber das ist natürlich auch teuer als in der ersten Woche.

Das ist übrigens das originale Lauftempo der Inder…

Um 18 Uhr Ortszeit war es soweit: Aus den Lautsprechern am Weg ertönte OM namah shivaja, ein Mantra zu Ehren des Gottes Shiva, Böller wurden gezündet und als winziges Feuerpünktchen auf der Bergspitze konnte ich das heilige Feuer flackern sehen.

Vor Jahren bin ich einmal mit meiner Frau beim Vollmondfest im Monat Januar um den Berg gewandert, aber damals waren es nicht ganz so viele Menschen. Wir liefen ca. 3-4 Stunden (?) (Zeit wird ja sehr relativ hier) mit der Menge, sahen, wie Menschen immer wieder in einen der vielen Tempel am Weg einbogen (in den Tempel, der ihrer speziellen Gottheit geweiht ist), den Altar umrundeten, Opfergaben darbrachten, Kampherstückchen entzündeten und weiterliefen von Tempel zu Tempel. Ein unglaubliches Erlebnis, so viele unterschiedliche Menschen zu sehen, mittendrin die Sadhus in ihren gelben Gewändern und abenteuerlichen Bemalungen und Frisuren, falls man von Frisuren sprechen kann… Heute Morgen sah ich auch einen Sadhu, der eine lange Nadel (Typ dünne Stricknadel) durch beide Backen getrieben hatte. Als Weiße wurden wir öfters angelächelt, manchmal mussten wir Hände drücken und erklären, aus welchem Land wir kommen. Vor dem großen Tempel in Tiruvannamalai waren Gitter aufgestellt, die die unzähligen Pilger kanalisieren sollten und es herrschte ein unglaubliches Gedränge. Vornehme Zurückhaltung und brav Schlange stehen ist nicht Sache der Inder. Am Wegesrand gab es an einer Stelle einen riesigen Stein mit einer sehr schmalen Öffnung, durch die sich Menschen durchzwängten – eine symbolische Geburt feierten.

Der Weg um den Berg ist auch dieses Jahr wieder dicht besiedelt mit provisorischen Buden; es gibt Tee und andere Getränke, Zuckerrohr und Obst aller Art, frisch gebackene Samosas, Heiligenbildchen, Ketten, Armbänder, Räucherwaren und vieles mehr. Neu für mich waren dieses Mal Stände, an denen man die Wasserflaschen aus Plastik abgeben kann. Es wird viel Geld in das Recycling von Plastik gesteckt seit ein paar Jahren. Der üble Geruch von verbranntem Plastik hängt nicht mehr über der Stadt, was ich als sehr angenehm empfinde und ich habe keine belegte Stimme mehr, wie in vergangenen Jahren hier. Gestern war das Wetter sehr regnerisch und es gab immer wieder heftige Wolkenbrüche. Mit meinen orangefarbenen Birkenstocks aus Kunststoff bin ich immer wieder knöcheltief durch Wasser gewatet auf den Wegen und Sträßchen.

In Verbindung mit dieser Festperiode ist seit 2 Tagen auch ein Viehmarkt auf einem großen Platz am Rande von Tiruvannamalai und entlang der Straße um den Berg. Kühe, Kälber, Bullen und Stricke, um das gekaufte Tier festzubinden und mitzuziehen, werden verkauft. Kein Inder geht alleine auf den Markt um zu kaufen, er bringt immer Familie und/oder Freunde mit und es wird unendlich lange beratschlagt und gehandelt.

Den Vollmond empfinde ich als sehr heftig dieses Jahr und ich komme mit wenig Schlaf aus – nach 4 Stunden war ich wieder ganz wach und erfrischt.

Indische Rituale

Heute ist mir wieder einmal aufgefallen, wie wichtig Rituale für die Inder sind. Der Hausbesitzer des Nachbarhauses geht z.B. morgens mit klingelnden Glöckchen auf der Terrasse auf und ab und räuchert mit Räucherstäbchen.

Auf der Straße sah ich einen LKW-Fahrer, der ein kleines Kerzenlicht um seinen riesigen LKW herumtrug. Er hatte die kleine Kerze aus einem der vielen Tempel an der Hauptstraße bekommen und umrundete seinen riesigen LKW – sicher bat er damit die Götter, und ganz speziell seine Götter, um gute Fahrt.

In Mahabalipuram zerschmetterten die Ladenbesitzer jeden Morgen eine Kokusnuss vor ihrem Laden und baten damit um gute Geschäfte.

Wenn ein Inder ein Motorrad oder ein Auto kauft, dann wird das Fahrzeug gesegnet und mit Blumen geschmückt vor der ersten Fahrt. Und sicher gibt es noch viele mehr, die mir noch nicht aufgefallen sind.

All diese Handlungen  wirken auf mich, als ob sie routinemäßig ausgeführt werden – wie gewohnheiten, die jedoch Sicherheit geben und nicht weggelassen werden können.

Und hier in Indien habe ich auch das Ritual angenommen, morgens Räucherstäbchen anzuzünden und damit bewusst einen neuen Tag zu beginnen.

Der Weg auf den Arunachala

Hinter dem Ramana-Ashram geht ein Weg den Berg hinauf zum Arunachala und zu einem kleinen Ashram ein Stück unterhalb des Berggipfels, dem Skanda Ashram, in dem Ramana, der Weise vom Arunachala, sieben Jahre seines Lebens in Abgeschiedenheit lebte.

Skanda Ashram Wegzeiger

Der Weg hoch dauert ca. 1 Stunde und ich bin ihn barfuß gegangen – als Pilgerweg, Schritt für Schritt, achtsam von Stein zu Stein.

Weg hinauf

aufwärts – in der Mitte ein frisch angepflanztes Bäumchen

Im Gegensatz zu den Straßen und Gassen in Tiru wird dieser Weg sauber gehalten; ein paar Inder sind unterwegs am Berg und sammeln alles ein, was die Touristen – vor allem, die Inder, die auf Sightseeeing-Tour sind – an Papier und Verpackungsmaterial fallen lassen. Vermutlich sind die Müllsammler vom Ramana Ashram eingestellt.

Die Wanderung ist schweißtreibend, auch wenn weite Strecken unter schattigen Bäumen verlaufen. Der Hang am Arunachala gehört zu einem Wiederaufforstungsprogramm und die kleinen, frisch angepflanzten Bäumchen werden gewässert und gepflegt. Unterwegs sind mir Affen von beachtlicher Größe begegnet, von denen ich Abstand gehalten habe, und kleine gelbliche, braun gestreifte Eichhörnchen, die sich nicht von der Kamera einfangen lassen wollten.

schon ziemlich weit oben – Blick auf Tiruvannamalai

Oben im Ashram war eine unglaubliche Stille; einige Meditierende – meist Westler – saßen tief versunken in Ramanas Raum vor seinem Bildnis. Als ich mich setzte, waren ziemlich schnell alle Gedanken verschwunden und obwohl ich die Augen geöffnet hatte, verschwand die Welt um mich herum in irgendeiner, unbeschreiblichen Weise und alles Gesehene schien nur noch ein Bild zu sein, weit, weit weg. Raum und Zeit gingen verloren.

Skanda Ashram

Es gibt nur zwei kleine Räume, die aus dem felsigen Berg herausgearbeitet wurden. Neben dem Hauptraum, in dem Ramanas Bild steht, gibt es einen kleinen Raum, in dem ein Altar für seine Mutter aufgebaut ist. Dort starb sie auch und „wurde befreit“ , nicht nur von diesem Leben sondern auch aus dem Zyklus der Wiedergeburt.

Ramanas Mutter

Später wanderte ich noch etwas im grün wuchernden Garten vor dem Ashram herum. In einem der Bäume entdeckte ich diesen kleinen Kerl, der unermütlich am Deckel der Plastikflasche nagte.

Der Priester, der den Ashram betreut, spielte Schattenboxen mit einem anderen, größeren Affen und gab ihm dann einen Keks zur Belohnung.

Abwärts schaffte ich 3/4 des Weges barfuß, dann begannen die Füße zu schmerzen und ich holte die Schuhe aus dem Rucksack. Bisher hatte noch keine Fußmassage für solch eine gute Durchblutung gesorgt!

Unten am Berg knurrte mein Magen heftig, denn mein Frühstück hatte ja nur aus einer Tasse schwarzem Kaffee und einem Keks bestanden. Den Kaffee hatte ich mir selbst gemacht mit einem 10 cm langen Tauchsieder, den ich für umgerechnet 1,80 Euro im kleinen, vollgepackten Supermarkt, der eher einem Tante-Emma-Laden ähnelt und der sich genau gegenüber vom Ramana Ashram befindet, gekauft hatte. Der Laden quillt fast über vor Waren, jeder noch so kleine Winkel ist genutzt und es gibt dort alles von Lebenssmitteln wie z.B. Käse, Butter, über Getränke aller Art, Haushaltswaren, Anti-Mückenmittel, Waschmittel, einfaches Geschirrt und Besteck bis hin zu ayurvedischen Arzneimitteln. Ich bin mir sicher, ich hab vieles nicht aufgezählt… Manchmal bin ich versuch,  dort zu fragen, ob sie auch einen Elefanten zu verkaufen haben und glaube fast, der würde dann von den Verkäuferinnen auch irgendwie hervorgezaubert!

Als ich dann, wie gesagt, unten ankam, ging ich in eines der typisch indischen Restaurants und bestellte ein Thali und einen Tulsi-Tee:

Thali

Thalis sind typisch indische Gerichte, die Reis (diesmal roten Reis), Gemüse, Sambar (Soße auf Linsen- und Tamarindenbasis), Rasam (Suppe aus Linsen und Tamarinde), Pickle (scharf!), Chapati, Naan und Puri (siehe rechts im Bild)  sowie Joghurt zur Linderung der Schärfe umfasst. Als Nachtisch ist dann noch Obst dabei, diese Mal waren es Wassermelonestücke in einem Schälchen und eine große  Banane. Das war das beste Thali, das ich bisher in Indien gegessen habe! Satt und hundemüde ging ich in mein Zimmer und schlief eine Stunde wie ein Stein – bequemer als dieser Hund auf der Straße:

 

 

Weiterfahrt nach Tiru – Ankunft

Genug vom Touristenleben in Mahabs – es zieht mit nach Tiruvannamalai, einer Stadt von 145.000 Einwohnern am Fuße des heiligen Berges Arunachala.

Arunachala

Tiru – wie es von den Einwohnern kurz genannt wird – ist bekannt für den indischen Weisen Ramana

Ramana

(und einigen weitere Gurus wie z.B. Annamalai, Sri Seshiatri, Rama Kumar), der den größten Teil seines Lebens an diesem Berg lebte und als großer Guru verehrt wird. Viele Inder und Westler pilgern hier jedes Jahr hin und einige Westler sind nie wieder losgekommen von diesem Ort; so entwickelt sich im Bereich um den Ashram Ramanas herum eine internationale spirituelle Bevölkerung. Ramana gehört zu den Vertretern des Advaita-Vedanta, eine Lehre, die die Welt auf ein einziger, nicht dualistisches Prinzip zurückführt. Soweit stark verkürzt – das ist ein Thema unzähliger philosophischer Abhandlungen und Bücher…

Um 8 Uhr morgens geht es los mit einem indischen Fahrer in einem kleinen Auto. Taxis in Indien sind für Westler erschwinglich und da es nur Linienbusse nach Tiru gibt, die nicht vorbuchbar und meistens vollgepfercht sind über den letzten Platz hinaus, leiste ich mir diesen Luxus. Zumal es per Bus mehr als 6 Stunden wären und ich auch noch umsteigen müsste.

Wir fahren ein Stück über eine Autobahn und auf kleineren Straßen, sind Teil des hupenden, quirligen Linksverkehrs; ich sehe das typisch indische Bild vom Straßenverkehr: in den Orten stehen Kühe unbewegt auf der Straße, die Fahrer umrunden diese vorsichtig, egal ob Auto, Tuk-Tuk, Fahrrad oder Moped. Die heilige Kuh darf alles. An einer der Landstraßen sitzen auf eine Länge von mehr als 1 km Affen einzeln oder in Gruppen aufgereiht am Straßenrand und besehen sich die vorbeifahrenden Autos. Wie im Zoo…

Auf der Fahrt kommen wir durch den Ort Ginjee, eine Stadt, die durch eine Burg aus dem 9. Jahrhundert bekannt ist. An einer der Kreuzungen fällt mir ein großes Gebäude auf: All Women’s Police Station – eine Polizeistation nur mit und wahrscheinlich vor allem für Frauen. Offensichtlich eine Neuerung, da die Gewalt gegen und an Frauen mehr in den Blick gerät in der modernen indischen Gesellschaft.

Nach 3 Stunden sind wir in dem Ort, den ich sehr liebe: Tiru. Der Fahrer setzt mich am Ramana-Ashram ab und ich schultere den Rucksack. Nur wenige Meter weiter befindet sich immer noch einer der kleinen Internet-Shops, dessen Besitzer mir und meiner Frau früher öfters Unterkunft vermittelt hat, in dem man auch SIM-Karten bekommt und Geld wechseln kann – Ratschläge aller Art für dies und das natürlich auch. Nach 4 Jahren erkennt er mein Gesicht wieder und freut sich, mich wiederzusehen. Er gibt mir den Tipp, ein paar Meter weiter in einem Guesthouse zu fragen, setzt eine SIM Karte in mein Smartphone ein und wechselt meine Euros zum Tagespreis in Rupies. Schon mal einiges Wichtiges erledigt! Tatsächlich bekomme ich in einem Guesthouse ein paar Meter weiter zumindest für eine Woche ein Zimmer zu einem erschwinglichen Preis. Danach werde ich weitersehen. Bleibe ich die geplanten 3-4 Wochen hier und suche dann nach etwas Anderem? Reise ich weiter? Alles ist offen.

Der Rucksack ist schnell ausgepackt. Ich wohne im Grünen: Im Garten ringsum sitzen Affen (eigentlich turnen sie eher herum ?), spazieren Pfaue und ich fühle mich glücklich. Das Zimmer ist mit westlichen Standards nicht zu vergleichen, aber für umgerechnet 7,80 Euro habe ich ein ruhiges, zentrales Zimmer, sogar Warmwasser und zwei Spiegel zusätzlich zur Grundausstattung Tisch, Bett, Stuhl. Als Luxus hängen 3 Kleiderbügel an der Gardinenstange!

 

Auch das liebe ich an Indien: Immer wieder wird mir klar, wie wenig ich zum Leben brauche. Auch wenn die Einrichtung etwas ramponiert aussieht, davon hängt mein inneres Glücksempfinden nicht ab.

Auf dem Weg zu einem der Restaurants komme ich an dem alten Obsthändler vorbei, bei dem wir damals immer kauften. Er strahlt und freut sich offensichtlich, mich wiederzusehen. Unglaublich – dieses Erinnerungsvermögen der Inder! Ich nehme meine kleinen Lieblingsbananen mit und bekomme – wie damals – eine dazu geschenkt. Eine kleine Geste, die erfreut. Als ich weitergehe, schießt ein Tuk-Tuk über die Straße auf mich zu und hält neben mir. Ich schaue hinein und sehe die strahlenden Augen unseres damaligen bevorzugten Tuk-Tuk-Fahrers Venkatesh. Er gibt mir seine Telefonnummer und ich freu mich darauf, auch dieses Jahr wieder mit ihm fahren zu können. Tuk-Tuks sind sehr günstig und für 40 – 60 Cent kann man sich im Ort herumfahren lassen, wenn die Füße schmerzen oder die Hitze zu viel wird.

Als ich am Abend früh ins Bett gehe – es wird auch hier bereits um 18 Uhr dunkel – freue ich mich wieder in Tiru zu sein.